
Alexander – Erfahrungsbericht, Teil 1: Es geht auch online!
Dr. Stefan Brückmann, Lehrer
Gerne hätte ich mit einem Mentee in Präsenz gearbeitet, aber Mentorenprogramme gibt es nur vereinzelt in Schulen und Betrieben, und einen Verein, der ein Mentorenprogramm anbietet, gibt es nur in Berlin. Dort bin ich zwar aufgewachsen, lebe aber seit meiner Heirat etwa 60 km nördlich von Frankfurt am Main.
Da in der Coronakrise vieles online stattfand, meldete ich mich beim Fibonacci-Mentoringprogramm. Vielleicht geht es trotz der Distanz.
Glücklicherweise hatte Dagmar Schilling eine Erweiterung des Fibonacci-Mentoringprogramms auf Online-Tandems initiiert, und so wurde ich der erste reine „Distanzmentor“. Reiner Distanzmentor stimmt inzwischen nicht mehr ganz, da ich ja aus Berlin stamme und ab und zu meine Verwandten besuche. Ein solcher Besuch war schon lange für den August geplant. Natürlich traf ich dann auch meinen Mentee Alexander persönlich.
Alexander ist ein überaus höflicher und wohlerzogener 12-jähriger Junge. Das war für mich zunächst einmal ungewöhnlich. Als Lehrer und Beauftragter für Begabtenförderung an einer Privatschule habe ich zwar häufig mit netten Schülern zu tun, aber manche Hochbegabten, die wir in unserem Team zu fördern versuchen, fallen eher durch ein „Boreout“ (zu Tode gelangweilt) auf. Ich versuche daher besonders, den Jungen erst einmal nahezubringen, dass es kein Wunder ist, dass die Mitmenschen so unfreundlich zu ihnen sind, wenn sie ihnen, im übertragenden Sinne, dauernd vor das Schienbein treten.
Alexander ist besonders an technischen beziehungsweise elektronischen Basteleien interessiert. Da ich in der Schule mit dem Microcontroler Arduino kleine Projekte baue und Alexander solch einen Arduino mit einigen Sensoren schon besaß, war eine Alarmanlage auf dieser Basis natürlich das geeignete Einstiegsprojekt.
Inzwischen arbeiten wir an einem Programmierprojekt. Ziel ist es, ein Spiel zu entwickeln, dass auf verschiedenen Plattformen laufen soll. Ausgangsplattform ist der PC. Der nächste Schritt ist ein Programm, das auf einem Android Smartphone läuft. Dafür haben wir uns das gleiche Modell eines älteren Smartphones besorgt. Alexander bekam es von seinem Opa, ich von Ebay. Das Programmieren einer Smartphone-App ist für mich völliges Neuland. Allerdings war mir von vornherein klar, dass ich bei unseren Projekten an die Grenzen meiner Kenntnisse stoßen werde, da ich Biologie und nicht Informatik studiert habe. Aber ich freue mich immer, etwas Neues zu lernen, und mit einem fähigen Lernbegleiter wie Alexander wird das sicher ein lösbares Problem.

Für und wider von Video-Meetings beim Mentoring sowie Voraussetzungen
Für ein Video-Mentoring sind ein funktionstüchtiger Laptop oder PC mit Mikrofon, Lautsprecher und Webcam und eine stabile Breitband-Internetverbindung unabdingbare Voraussetzung. Bei den Treffen empfand ich es als sehr hilfreich, wenn Mentee und Mentor das gleiche Material auf ihrem Schreibtisch haben. Das erleichtert die Fehlersuche erheblich, da beide parallel den Fehler suchen und dem jeweils anderen zeigen können, wo wahrscheinlich das Problem liegt. Für die Übertragung benutze ich einen kleinen Laptop und einen PC, an dem eine Dokumentenkamera angeschlossen ist. So kann man sowohl die Bauteile des Projekts sehen als auch mich. Es geht sicher auch mit nur einem Gerät, bei dem man dann das Projekt vor die Webcam hält. So machte es Alexander. Ich finde es angenehm, wenn man das Gegenüber beim Treffen auch sieht. So kann ich sehen, ob meine Botschaft ankommt und ob mein Mentee nachdenkt oder verwirrt schaut.
Bei unserem Programmierprojekt arbeite ich nur mit einem Computer. Der Programmcode wird per Bildschirmfreigabe übertragen und ein weiterer Computer bringt keinen Mehrwert. Die gemeinsame Arbeit ist sehr intensiv und wenn wir ein Teilproblem gelöst haben und ich mal wieder auf die Uhr schaue, bin ich oft sehr erstaunt, wie spät es schon ist.
Die Treffen dauern in der Regel ein bis max. zwei Stunden. Bei dem Programmierprojekt gebe ich Alexander oft auch Aufgaben auf. Wenn er Probleme damit hat, kann er sich jederzeit per Mail melden.
Bei unseren Projekten kommt es häufig zum Austausch von Dateien wie Programmcode oder Anleitungen. Später benötigt unser Spiel auch Grafiken und Töne. Für diesen Austausch habe ich vor kurzem einen Speicherplatz im Internet bei meinem Internet-Service-Provider eingerichtet. So können Alexander und ich nun dort Dateien ablegen und austauschen wie auf einer Festplatte, auf die wir beide Zugriff haben. Auch ist genügend Platz vorhanden, um diesen Speicherplatz als Archiv für Musterlösungen und Anleitungen zu verwenden.
Als wir uns in Präsenz trafen, haben wir auf einem älteren Laptop Linux installiert. Dazu mussten wir die Bootreihenfolge ändern. Die meisten Computer zeigen beim Booten kurz an, welche Taste man dafür drücken muss. Allerdings zeigte der Laptop die falsche Taste an, und so mussten wir das Gerät 20- bis 30-mal booten, bis ich eine Suchmaschine befragte. So fanden wir die Taste doch noch und konnten den Laptop nun vom USB-Stick booten. Diesen Vorgang stelle ich mir in Distanz sehr schwierig vor, da man keine Vorstellung in Distanz dafür bekommen kann, ob die Taste auch richtig und zum richtigen Zeitpunkt gedrückt wurde. In Präsenz konnte jeder mal drücken und feststellen, dass es daran nicht lag.
Bestimmte Projekte eignen sich sehr gut für ein Video-Mentoring. Beim Programmieren sitzt man sowieso vor dem PC und kann den Bildschirm und die Steuerung sehr einfach teilen. Das wäre in Präsenz vielleicht sogar schlechter.
Die physische Anwesenheit eines Menschen ist gefühlt etwas anderes als ein Meeting per Video, aber der Unterschied ist meines Erachten nach nicht so groß, dass sich diese Alternative ausschlösse. Man kann auch mit dem Medium Zoom eine intensive und auch emotionale und vertrauensvolle Beziehung aufbauen. Verglichen mit dem Lernen im Unterricht, für das ich ja genügend Vergleichsmöglichkeiten habe, ist das Lernen im Mentor-Mentee-Tandem wesentlich intensiver. Dies liegt vor allem daran, dass man auf alle Fragen sofort eingehen kann und es schwer möglich ist, mit dem Thema weiterzumachen, wenn der Lernende das Verständnis des Stoffes verloren hat. Auch bei einer Videokonferenz bekommt man es direkt mit, ob der Lernpartner einem folgt oder nicht. In größeren Lerngruppen ist ein Lernen per Videoübertragung oft schwieriger, weil es passieren kann, dass man sich nur noch „mit seinem Computer unterhält“. Das ist im Tandem nicht so. Auch per Video-Meeting ist es ein Zwiegespräch. Wir freuen uns beide jedes Mal, wenn wir uns wiedersehen. Das Video-Meeting hat auch Vorteile. Keiner muss irgendwo hinfahren, und man fühlt sich gleich wie zu Hause, weil man zu Hause ist. Gerade im nicht städtischen Umfeld, wo es möglicherweise keinen passenden Mentor in erreichbarer Nähe gibt, ist ein Mentoring per Video-Meeting eine gute Lösung.