Steff Bauer – Erfahrungsbericht eines Mentors

„…es war eine der besten Entscheidungen meines Lebens.“

Von der Möglichkeit eines Mentorings im Fibonacci-Programm erfuhr ich 2013 über den Alumni-Verteiler der Studienstiftung des deutschen Volkes. Für den 11-jährigen Peter* wurde damals ein Mentor zum Thema „klassische Mythologie“ gesucht. Als studierter Philosoph mit großem Interesse an der antiken Welt war ich gerne bereit, ihn in dieser Leidenschaft zu unterstützen.

Peter wächst ohne jeden Kontakt zum biologischen Vater auf und hatte damals auch sonst keine männliche Bezugsperson. Seine Mutter führt eine eher prekäre Existenz und leidet unter häufigen Stimmungsschwankungen. Schnell entwickelte sich zwischen Peter und mir eine große Sympathie. Er war ein kleiner, sehr sensibler, etwas introvertierter, schlauer und auch schöner Junge mit Sinn für Humor und Ironie. Von Anfang an versuchte ich ihm auf Augenhöhe zu begegnen und ihn in diesem Sinne wirklich ernst zu nehmen. Bald zeigte sich, dass uns das Thema Mythologie zu sehr einschränkte und er deutlich vielfältigere Anregungen suchte, was mir als „Generalisten“ entgegenkam. Peter hatte damals trotz seiner großen Intelligenz eher schlechte Noten und ging äußerst ungern zu Schule. Da er wenig Freunde hatte, fühlte er sich insgesamt in Berlin unwohl. Wir trafen uns wöchentlich und mit der Zeit entwickelte sich eine enge Bindung. Die Treffen fanden meistens in seiner Wohnung statt, so dass sich auch ein engerer Kontakt zur Mutter ergab. Regelmäßig unternahmen wir aber auch Expeditionen zu interessanten Ausstellungen oder Veranstaltungen. Zudem kombinierten wir die Treffen mit dem Besuch der lokalen Bibliothek oder einer Betätigung im Freien. Irgendwann entstand dann zwischen Peter und mir quasi eine Lebensfreundschaft und dauerhafte persönliche Beziehung mit einer zugesagten Begleitung bis zum Abitur. Es war für mich das erste Mal, dass ich eine Mentorenfunktion übernommen hatte. Für den damit verbundenen Aufwand wurde ich im Laufe der Zeit allerdings mehr als genug entschädigt. Es ist einfach faszinierend, einen interessanten Menschen dabei zu unterstützen und zuzusehen, wie er sich im Verlauf von mehren Jahren verändert, reifer wird und in die Pubertät eintritt.

Peters Schulnoten verbesserten sich im Laufe des Mentorings deutlich und er machte zumindest seinen Frieden mit dem ungeliebten, aber notwendigen Schulbesuch. Die eher einzelgängerische Veranlagung war zwar weiterhin ausgeprägt, aber gleichzeitig entwickelten sich auch seine sozialen Aktivitäten deutlich weiter. So besuchte er regelmäßig Sportvereine, erst Bogenschießen, dann Aikido, zeitweilig war er auch noch im Schachclub. Das schönste aber war für mich, wenn sich die Mentoringbeziehung kurzzeitig einmal umdrehte und ich etwas von ihm lernen konnte. Dann zeigte mir Peter mit Begeisterung seine neueste Entdeckung, sei es ein cooler Zaubertrick, interessante Wissenschafts­videos auf Youtube oder seine aktuelle Lieblingsband.

Auf Grund der erlebten Bereicherung durch das Mentoring entwickelte sich bei mir nach zwei Jahren die Bereitschaft, noch einen weiteren Schüler zu übernehmen. Das Fibonacci-Programmes suchte für Alex* eine Begleitung. Schon bei Peter war ich von seinen benachteiligten Lebensverhältnissen berührt. Im Vergleich zu dem neuen Mentee waren das jedoch fast idyllische Umstände. Das wurde schon in der allerersten Begegung deutlich, als der damals sehr schüchterne Junge in seiner für das kalte Winterwetter unpassenden Kleidung aus dünnem Jäckchen und zerlöcherter Jeans einen ziemlich verlorenen Eindruck machte. Es war vor allem Mitgefühl, was mich dazu bewegte, eine weitere auf ein Jahr begrenzte Begleitung zuzusagen. Wir trafen uns in Bibliotheken, denn der gesundheitlich angeschlagene Vater ließ niemanden in seine Messie-Wohnung und verhielt sich für eine lange Zeit distanziert. Alex hatte eine traumatische Kindheit hinter sich und war erst vor kurzem aus einer vom Jugendamt betreuten Wohngruppe wieder zu seinem Vater „rückgeführt“ worden. Zu seiner Mutter, die psychische Schierigkeiten hat und die ich bis jetzt noch nicht kennenlernen konnte, hat Alex einmal im Monat Kontakt. Seine hohe Intelligenz und Begabung wurde erst sehr spät durch eine schulpsychologische Untersuchung erkannt. Parallel zu dem Fibonacci-Mentoring wurde Alex während des ersten Jahrs auch durch einen vom Jugendamt bestellten Sozialpädagogen betreut. Im Vergleich zum ersten Mentee dauerte es bei Alex deutlich länger, eine wirklich enge Bindung aufzubauen. Dafür waren die Wirkungen dann tiefgreifender. Wie bei Peter befassten wir uns prinzipiell mit allen Themen, die uns interessierten und die seinen geistigen Horizont erweiterten. Auf Grund des Milieus und der fehlenden Förderung seitens seiner Herkunftsfamilie war letzteres leicht möglich. Schon ein einfacher Ausflug in ein Kunstmuseum eröffnete ihm ungeahnte Welten. Selten hatte ich solch eine Sinnhaftigkeit meines Handelns erlebt und nach einer Weile machte ich auch ihm das Angebot einer dauerhaften Betreuung bis zum Abitur. Alex hat großes Interesse und Begabung für Sprache und Literatur. Seine größte Leidenschaft sind alle mit dem Computer zusammenhängende Dinge, u. a. besucht er eine entsprechende Fach-AG an seiner Schule und schon jetzt ist ein deutlicher Studienwunsch Richtung Informatik vorhanden.

Die Übernahme einer zweiten Mentoringbegleitung machte mir auch einmal praktisch deutlich, wie unterschiedlich doch die genauen Umstände sind bei oberflächlich gleicher Situation (beide Mentee-Familien leben von staatlichen Zuwendungen). Auch die offensichtlich teilweise biologisch bedingten Persönlichkeitsunterschiede sind immens. So ging Alex äußerst gerne zu Schule und erlebte diese als belebenden Strukturierungsimpuls und Möglichkeit, seiner beengten Herkunft zu entkommen. Er entwickelte sich nach seinem Wechsel aufs Gymnasium zum Klassenprimus, blieb aber gleichzeitig ein äußerst bescheidener Junge. Ein erstaunlicher Entwicklungschritt für ihn war die Übernahme von Verantwortung als Klassensprecher und in der Schülervertretung. Nach meiner Einschätzung eröffnete sich damit die Möglichkeit einer Bewerbung für das „Grips gewinnt“-Stipendium der Joachim Herz Stiftung und der Robert Bosch Stiftung. Dieses Schülerstipendium unterstützt leistungsstarke und engagierte Schüler aus benachteiligen Verhältnissen durch ein Seminarprogramm und finanzielle Unterstützung, unter anderem einen monatlichen Geldbetrag von 150 Euro. Die Bewerbungsphase war aufwendig für mich als Mentor, denn Alex musste für die ihn zuerst überfordernde Umsetzung des eigenen Bewerbungswunsches intensiv gecoacht werden. Doch letzten Endes bestand er alle Herausforderungen mit Bravour. Als einer der Jüngsten wurde er dann im Laufe des Jahres 2017 in die dauerhafte Grips-Förderung bis zum Schulabschluss aufgenommen, was ihm für das weitere Leben völlig neue Möglichkeiten eröffnen wird.

Heute kann ich sagen, dass es eine der besten Entscheidungen meines Lebens war, mich für eine Rolle als Mentor im Fibonacci-Programm zu bewerben. In den Jahren zuvor hatte ich selber noch mit einer lebensbedrohlichen Krankheit zu kämpfen, deren Überwindung mir allerdings auch neue Perspektiven aufzeigte. So kristallisierte sich der Wunsch heraus, verstärkt Verantwortung gerade auch gegenüber der jüngeren Generation zu übernehmen. Der größte Dank gilt meinen beiden Mentees. Dass man so gut zueinander passt, kann man wohl nur einen Glücksfall nennen. Das Fibonacci-Mentoringprogramm ermöglichte genau dies. Daher geht großer Dank an dieser Stelle an das Programm und an Frau Schilling.
S. Bauer

*Namen geändert

Steff Bauer – Erfahrungsbericht eines Mentors
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